Der neu ernannte Evangelische Landesbischof Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm besuchte am Sonntag (15.01.) die Evangelische Gemeinde in Landshut. In seinem Antrittsgottesdienst predigte er vor der Kirchengemeinde. Im Mittelpunkt seiner Worte stand die Motivation, dass es m Leben darauf ankommt, zu seinen Schwächen zu stehen und daraus Kraft für ein positives Leben zu schöpfen.
Liebe Gemeinde,
man hat es nicht immer leicht mit diesem Paulus. Die Texte aus seinen Briefen, die Teil unserer Bibel sind, sind manchmal schwer zu verstehen. Sie klingen an vielen Stellen eher hölzern. Oder sie bringen in einer Heftigkeit die inneren Kämpfe dieses Mannes zum Ausdruck, dass es für uns heute erst mal schwer nachvollziehbar erscheint. Aber - es lohnt sich, sich an Paulus' Seite zu stellen, seine Gedanken mitzudenken und sie auch mitzufühlen, selbst dann, wenn die eigene Psyche anders gebaut ist als das Innenleben des Paulus. Es lohnt sich schon deswegen, weil die paulinischen Texte zu dem Ältesten gehören, was Eingang gefunden hat in das Neue Testament. Schon wenige Jahre nach Jesu Tod sind sie entstanden, und allein deswegen sind sie besonders nah dran an dem, was Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi bedeutet.
Es lohnt sich aber auch, sich auf die paulinischen Texte einzulassen, weil sie inhaltlich so stark sind, weil sie uns durch alle sperrigen Formulierungen hindurch etwas sagen, was wegweisend ist, was neue Horizonte eröffnet, was befreiend wirkt.
So ist es auch mit dem heutigen Predigttext. Paulus spricht von seinen Erfahrungen bei der Gemeinde in Korinth und er spricht davon, dass er voller Beklemmung vor die Gemeinde getreten ist. „.. ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern". Mir geht es heute nicht so wie dem Paulus. Ich stehe heute nicht vor Ihnen in Furcht und in Schwachheit und in großem Zittern. Ich bin gerne hierher nach Landshut zu meinem Antrittsgottesdienst im Kirchenkreis Regensburg gekommen. Ich habe mich darauf gefreut. Und auf meiner landesbischöflichen Facebook-Seite hat mich jemand sogar schon im Vorhinein willkommen geheißen! Ja, ich predige heute gerne von der Kanzel der Christuskirche. Und dennoch verstehe ich genau, was Paulus sagen will.
Als ich zu euch kam, sagt er zu den Korinthern, „kam ich nicht mit hohen Worten und hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu verkündigen. Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten. Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern."
Diese Worte sind ungewöhnlich. Dass eine öffentliche Person wie Paulus sich so präsentiert ist alles andere als normal. Es ist nicht das, was man von jemandem erwartet, der seine Botschaft in der Öffentlichkeit rüberbringen will. Heute jedenfalls würden die Medienberater einem Politiker, einem Wirtschaftslenker oder einem Showmaster ganz bestimmt nicht raten, sich als einer zu präsentieren, der schwach ist, voller Furcht und mit großem Zittern. Genau das Gegenteil, das, was Paulus „hohe Worte und hohe Weisheit" nennt, heute würde man vielleicht ergänzen die hohe Kunst der Unterhaltung, das ist heute, in der modernen Mediengesellschaft, der Standard. Umso mehr wirkt es nach, wenn wir öffentlich mit etwas Anderem konfrontiert sind.
Zuweilen bricht die Schwachheit, die Furcht und das Zittern auch in die glanzvolle Welt der Starken, der immer Frohen und der Redegewandten ein. Vor gut einem Jahr ist das an einer Stelle vor den Augen der deutschen Öffentlichkeit in schmerzhafter Weise passiert. Samuel Koch, ein junger Wettkandidat bei Deutschlands beliebtester Unterhaltungsshow „Wetten dass...", verunglückte mitten in der Live-Sendung. Und niemand konnte durch noch so geschickte Kameraschwenks, Zwischeneinblendungen oder Redestücke das Schreckliche vergessen machen, was da passiert war. Die Hoffnung so vieler Menschen, mich eingeschlossen, dass der Unfall des sympathischen jungen Kandidaten vielleicht doch noch glimpflich ausgeht, ging nicht in Erfüllung. Und Thomas Gottschalk war selber so getroffen davon, dass er die Sendung, die fast so etwas wie sein Lebenswerk war, hinter sich ließ und aus ihr ausschied. Die hohen Worte und die hohe Weisheit waren an ihr Ende gekommen, und Schwachheit, Furcht und Zittern hatten plötzlich eine öffentliche Dimension.
Und aus der Schwachheit kam Kraft. Wer hinschaut, staunt, wie ein junger Mann und seine Familie, für die der christliche Glaube die Lebensbasis ist, mit den Folgen des Unfalls umgeht. Samuel Koch verlor den Lebensmut nicht. An Heiligabend nahm er am Gottesdienst in Wintersweiler teil und verfolgte das Krippenspiel in der Kirche, das seine Mutter dort zum 22. Mal einstudiert hatte. Die Zeitungsredakteure, die von dem Gottesdienst berichteten vermerken immer wieder ein Schmunzeln beim Krippenspiel der 25 kleinen Akteure. Zum Abschluss sang er dann "O du fröhliche" mit.
Samuel Koch beeindruckt mich. Er ist für mich ein Zeuge der Kraft von der Paulus spricht: „...ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten. Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern..." Sein Leben aus der Kraft des Gekreuzigten leben zu dürfen, zu wissen, dass diese Kraft auch in den schweren Tagen, in der Schwachheit und im Zittern wirkt und trägt, das - liebe Gemeinde - ist ein riesengroßes Glück.
Menschenweisheit hat ja auch etwas für sich. Klug sein, stark sein, schön sein, vielleicht auch reich sein, also alles das, was nach Menschenweisheit im Leben zu erstreben ist, das ist nichts Schlechtes. Es ermöglicht durchaus glückliche Momente. Aber es steht eben auf tönernen Füßen, wenn das Glück ganz darauf gebaut wird. Schwachheit und Verletzlichkeit kann dann nur etwas sein, was wir um jeden Preis vermeiden müssen, wenn wir glücklich sein wollen. Und wenn wir bei anderen Menschen damit konfrontiert sind, sind wir irgendwie hilflos. Wir haben keine Sprache dafür und wir wissen nicht, wie wir uns verhalten sollen angesichts von Krankheit, Leid und Tod.
Wie befreiend ist es da, wenn wir eine Basis für unser Leben gewinnen, die auch dann trägt und ein erfülltes Leben ermöglicht, wenn wir vor Krankheit, Leid und Tod nicht mehr davon rennen können. Paulus bietet uns genau eine solche Basis an. „mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, damit euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft." Es ist die Kraft des Gekreuzigten, von der Paulus spricht. Es ist die Kraft desjenigen, der zu den Aussätzigen gegangen ist. Es ist die Kraft desjenigen, der die erquickt hat, die mühselig und beladen waren. Es ist die Kraft desjenigen, der bei den Toten war und sie mit ins Leben genommen hat. Das ist die Kraft des Gekreuzigten, von der Paulus spricht und die ihn mit all seiner Furcht und all seinem Zittern vor die Gemeinden treten lässt, um die frohe Botschaft zu verkünden. Das ist die Kraft, die ein wirklich erfülltes Leben ermöglicht. Und deswegen ist es am Ende eben doch klug, genau darauf zu setzen, sich auf diese Lebensperspektive einzulassen, die Geschichten von Jesus zu hören, sie sich zu Herzen gehen zu lassen, zu beten, in die Seele einzuatmen, was es heißt, die Perspektive des Gekreuzigten und Auferstandenen zur eigenen Lebensperspektive werden zu lassen. Es ist Weisheit auf einer neuen Stufe. Paulus nennt es die" Weisheit bei den Vollkommenen": „Wovon wir aber reden, das ist dennoch Weisheit bei den Vollkommenen; nicht eine Weisheit dieser Welt, auch nicht der Herrscher dieser Welt, die vergehen."
Die Weisheit der Vollkommenen auf der einen Seite und die Weisheit der Welt und ihrer Herrscher auf der anderen Seite, das ist die Gegenüberstellung, die Paulus hier vornimmt. Und sie ist zunächst auch unmittelbar einleuchtend. Denn, dass die Herrscher der Welt irgendwie mit Zittern und Zagen vor uns treten würden, wird man kaum behaupten können. Im Gegenteil, sie versuchen stark zu sein und oft genug versuchen sie einfach nur Stärke zu zeigen. Das war schon zu allen Zeiten so. Diese Stärke kam dann in imposanten und beeindruckenden Gebäuden zum Ausdruck. Hier vor Ort sieht man das an der Burg Trausnitz oder an der Martinskirche, dessen Turmspitze die auf dem Berg liegende Burg überragt, zum Zeichen der bürgerlichen und kirchlichen Stärke. Heute sind es nicht die Gebäude, die für Macht und Stärke stehen. Die Mächtigen haben ihre eigenen Mittel gefunden, um Stärke zu zeigen. Militärherrscher tun das mit Militär und demokratische Herrscher tun das mit dem Wort. Aber stark versuchen sie alle zu sein.
Auch in unseren demokratischen Gesellschaften heute, so anders sie sind als die Welt, aus der heraus Paulus redet, auch in unseren Gesellschaften heute gilt es als unklug, Schwäche zu zeigen. Aber ist das richtig? Was wäre passiert, wenn der Bundespräsident gleich nach Bekanntwerden der jetzt diskutierten Vorwürfe vor die Öffentlichkeit getreten wäre und Schwäche gezeigt hätte? Wenn er Fehler sofort eingeräumt und die dahinter stehenden Sachverhalte klar offen gelegt hätte? Wären die Medien erst recht über ihn hergefallen oder hätten sie diese Offenheit gewürdigt und ihn nicht weiter beschädigt? Was wäre gewesen, wenn Karl-Theodor zu Guttenberg die weitaus gravierenderen Vorwürfe gleich zugegeben hätte und authentisch und überzeugend Reue gezeigt hätte. Hätte die Öffentlichkeit ihm am Ende vielleicht verziehen?
Ich weiß die Antwort auf diese Fragen nicht.
Aber eines weiß ich. Wir brauchen eine neue politische Kultur, die das öffentliche Zeigen von Schwachheit nicht bestraft, sondern als Teil des Menschseins annimmt und würdigt. Wenn es wirklich stimmt, dass wir eine christlich geprägte Kultur sind, dann müsste das, was Paulus als „Weisheit bei den Vollkommenen" bezeichnet, die vor der Schwachheit nicht davonrennt, dann müsste diese Weisheit auch bei den „Herrschern dieser Welt" - und das sind heute unsere demokratisch gewählten Politiker-einziehen.
Wir brauchen eine neue politische Kultur, für die Menschlichkeit kein Fremdwort ist, sondern die Basis der politischen Diskussionen - so kontrovers sie auch sein mögen. Menschliche Fehlbarkeit, menschliche Schwäche und die Furcht, die auch Politiker haben, weil sie eben Menschen sind, die gewinnen erst dann destruktive Bedeutung, wenn sie permanent krampfhaft versteckt werden müssen. An Paulus geschulte Christenmenschen gehen anders miteinander um. Eben in neuem Sinne weise: so, dass die Schwachheit kein Makel im politischen Geschäft ist, sondern ein Zeichen der Menschlichkeit. Auch Politiker dürfen ratlos sein, weil sie manchmal eben wirklich auch keine Antwort wissen. Auch Politiker dürfen Fehler machen und sie einräumen. Auch Politiker dürfen sich irren und dann dazu lernen. Und wir Bürgerinnen und Bürger können sie dazu ermutigen, das alles nicht zu verbergen. Zur Authentizität eines jeden Menschen gehören neben den Stärken auch die Schwächen. An Paulus können wir sehen, dass einer, der diese Schwächen in völliger Offenheit preisgibt, eine starke Wirkung haben kann.
„Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, damit euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft."
Der das sagt, ist einer der wirkmächtigsten Menschen der Weltgeschichte geworden. Menschliche Weisheit hätte zu Lachkrämpfen geführt, wenn das einer damals vorhergesagt hätte. Aber Gottes Kraft, die in den Schwachen mächtig ist, hat es möglich gemacht. Niemand täusche sich über diese Kraft. Was bei den Menschen unmöglich ist, ist bei Gott möglich. Was jetzt schwach erscheint, kann die Welt verändern. „Unser Glaube steht nicht auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft" - sagt Paulus. Und diese Kraft trägt, jetzt und in der Zukunft, ein ganzes Leben lang, eine ganze Ewigkeit lang.
Die Resignation hat ihr Spiel ausgespielt. Hoffnung breitet sich aus.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN