Mit Sorge blicken die Grüne Stadträtin Elke Rümmelein und Jürgen Gerstl, Sprecher der lokalen Bürgerinitiative, auf das Areal, von dem sich die PCB-Belastungen ausbreiten. - Foto: W. Götz
Landshut – gw (14.02.2022) Seit Jahren haben die Stadt, Grundstückseigentümer und Anwohner im Bereich des sogenannten „BMI-Geländes“ an der Klötzlmüllerstraße ein Dauerproblem. Dort wo sie leben und wohnen breiten sich im Untergrund Polychlorierte Biphenyle (PCB) aus. Das Gift gilt als krebsauslösende organische Chlorverbindung. Am Mittwoch gibt es dazu Live-TV mit der Stadtspitze und der Verwaltung, um Aufklärung zu betreiben. Die Anwohner haben viele Fragen.
Eines vorweg: Die BMI (Bayerische Milchindustrie) hat mit dem ganzen Malheur nichts zu tun. Ihr wäre es am liebsten, das Grundstück mit Wohnungen zu bebauen. Doch solange die PCB-Belastungen über den Grenzwerten liegen, gibt es keine Baugenehmigung. Die BMI ist selbst Leittragende der Altlasten.
Roederstein (heute Vishay) produzierte dort in den Jahren 1953 bis 1960 Starkstromkondensatoren unter Einsatz von polychlorierten Biphenolen (PCB). Bei einem Großbrand am 22/23. September 1960 wurde die Produktionsstätte vollständig zerstört. Anschließend hat die BMI diese Fläche für Produktions- sowie Verwaltungsgebäude genutzt. Im Jahr 1990 wurde PCB als umweltrelevanter Stoff eingestuft. Nachdem im Jahr 2012 die BMI die Produktion am Standort Landshut eingstellte, wurde es möglich, nach dem Abriss der Produktionsgebäude eine Aushubsanierung zu planen und auf Basis eines Sanierungsplans zwischen der Stadt Landshut, der Fa. Vishay (ehem. Roederstein) und der BMI umzusetzen. Die PCB Altlasten stammen folglich von der Firma Roederstein/Vishay.
Jede Farbe der Grafik steht für eine andere PCB-Messtelle. Seit Ende der Bodensanierung im Oktober 2019 stieg die Ausbreitung des krebserregenden Gifts teilweise nach oben und liegt noch viel zu weit im gesundheitsschädlichen Bereich.
Bereits 45.000 Tonnen Bodenmaterial wurden ausgebaggert, verbrannt, deponiert, bzw. verwertet. 1,1 Tonnen PCB konnten dadurch beseitigt werden. Für das Wasserwirtschaftsamt war das noch kein Grund zur Entwarnung. „Das Sanierungsziel wurde noch nicht erreicht.“ So werden die PCB-Werte im Boden und Grundwasser durch das Wasserwirtschaftsamt über zahlreiche Messsonden nach wie vor systematisch erfasst und kontrolliert.
Die Stadt Landshut hat für die Anlieger eine Allgemeinverfügung erlassen, die es ihnen bei einer Strafe von bis zu 50.000 Euro verbietet, Grundwasser zur Bewässerung ihrer Gärten oder zum Gießen ihrer Beete zu verwenden. „Durch die Untersagung der Grundwasserbenutzung wird verhindert, dass Schadstoffe über die Zutageförderung in den Wirkungsbereich der Anwohner gelangen. Ohne die Grundwasserbenutzung besteht also keine Gefahr mehr, dass Schadstoffmengen in relevanter Menge von Menschen aufgenommen werden“, heißt es darin und weiter: „Die angeordnete Maßnahme dient dem Schutz der menschlichen Gesundheit. Bei der in der Zone A vorhandenen Konzentration von polychlorierten Biphenylen im Grundwasser können schwerwiegende nachteilige Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen nicht ausgeschlossen werden.“ Diese Sätze belegen die Ernsthaftigkeit der Problematik.
Gegenüberstellung der PCB-Ausbreitung im März 2020 (links) und Dezember 2021. Der Bereich "B" weitet sich nach Nord/Ost aus. Die Schadstoffkonzentration im Grundwasser liegt hier bei < 0,05 µg/l PCB, im Bereich "A" bei > 0,05 µg/l (µg = Mikro-Gramm). - Grafik: Stadt Landshut
Doch in den vergangenen Jahren wurde noch alles komplizierter. Gegenüber des BMI-Geländes, auf der anderen Seite des Klötzlmühlbachs, realisierte die Firma Scheidl Bau die Wohnbebauung „Am Bach“. Dazu war eine sogenannte Bauwasserhaltung nötig, denn bei der Erstellung von Bauwerken im Grundwasser muss dieses abgesenkt und abgepumpt werden, um es anschließend wieder in das Grundwasser einzuleiten.
Doch es trat etwas Unvorhergesehenes ein. Die PCB-Wolke im Untergrund breitete sich weiter aus. Allerdings nicht in Fließrichtung des Grundwassers, was zu erwarten wäre, sondern in die entgegengesetzte Richtung Nord/Ost. Das legte den Schluss nahe, dass die Bauwasserhaltung zur Ausbreitung des PCB beitrug.
So kam es zum Prozess zwischen der Stadt und dem Bauträger. Ob er die erteilten Auflagen nicht eingehalten hätte und auch, ob die Überwachungsbehörden zu spät reagiert haben, stand zur Klärung. Dieser Prozess endete nach zwei Instanzen am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit einem Vergleich, die Gutachter trugen konträre Schlussfolgerungen vor, die Schuld- und Regressfrage bleibt ungeklärt. Seitdem herrscht Stillstand.
Am kommenden Mittwoch, 16. Februar, (19 Uhr) veranstaltet die Stadt eine digitale Infoveranstaltung zur Grundwasseruntersuchung im Umfeld des BMI-Geländes. Thema sind die wesentlichen Erkenntnisse aus den jüngsten PCB-Grundwasseruntersuchungen im Landshuter Westen.
Fragen zu beantworten gibt es aus Sicht von Jürgen Gerstl, einem Sprecher der Bürgerinitiative der betroffenen Anwohner genügend. Was ihn und seine Mitstreiter interessiert, wäre im Grunde folgendes:
- Warum wurden die betroffenen Anwohner im NO und die Bürgerinitiative nicht von den Behörden darüber informiert (bzw. sogar miteinbezogen), dass ein Verwaltungsverfahren Stadt/Behörden gegen den Bauträger Scheidl Bau (Bauwasserhaltung Baugebiet am Bach) läuft? Warum erst auf Nachfrage?
- Warum wurden die betroffenen Anwohner im NO von den Behörden nicht über die Ergebnisse der Verfahren/des Vergleichs informiert?
- Haben die Aufsichtsbehörden für die Bauwasserhaltung ausreichende Auflagen erteilt? Wurden die Auflagen rechtzeitig und ausreichend überwacht? Warum haben die Aufsichtsbehörden nicht frühzeitiger eingegriffen?
- Wurde im Zuge dieser Verwaltungsverfahren oder anderweitig von den Behörden geklärt, wer der/die Verursacher der PCB-Fahne im NO ist/sind? Gegenüber wem können die betroffenen Anwohner ihre Regressansprüche geltend machen?
- Warum wurde die Angelegenheit zwei Mal in nicht öffentlicher Sitzung, statt transparent und öffentlich, im Umweltausschuss behandelt?
Weitere Informationen zu der digitalen Infoveranstaltung gibt es unter: https://www.landshut.de/umwelt/umweltschutz/bodenschutz. Interessierte Grundstückseigentümer sowie Bürger aus dem Stadtteil West können der Veranstaltung als Zuhörer beiwohnen und sich per Chatfunktion zuschalten, um Fragen zu stellen.