Im Bild: Bisher in diesem Ausmaß nie gekanntes Hochwasser in Simbach am Inn.
(8.06.2016) Pressekonferenz mit MdL Dr. Christian Magerl, Vorsitzender des Ausschusses für Umwelt und Verbraucherschutz im Bayerischen Landtag und Eike Hallitzky, Landesvorsitzender der Grünen zur Vorstellung eines Zehn-Punkte-Plans für einen besseren Hochwasserschutz.
Die Starkregen in Bayern haben mit ihrer gigantischen Zerstörungskraft in kurzer Zeit nicht nur Millionenschäden verursacht, sondern auch zum Tod mehrerer Bürgerinnen und Bürger geführt. Dabei sind die Muster und unmittelbaren Ursachen der Zerstörung durchaus unterschiedlich:
In Simbach am Inn schwoll der gleichnamige Bach auf einen Stand, der rund dreimal so hoch war, wie die höchsten in den letzten zwanzig Jahren gemessenen Hochwasserstände. Zudem gibt es entlang des Baches Retentionsflächen, der Oberlauf ist wenig problematisch, die in den Plänen markierten überschwemmungsgefährdeten Gebiete sind relativ klein. Ein Drama wie in Simbach lässt sich durch klassische Schutzmaßnahmen nicht verhindern.
Anders verhält es sich im unweit von Simbach gelegenen Triftern, insbesondere im Gemeindeteil Anzenkirchen. Dort war die Spitze des Hochwassers des Altbachs nur unwesentlich höher als immerhin fünf Hochwasser-Ereignisse innerhalb der letzten zwanzig Jahre. Während zwar die innerörtliche Gefahrenlage für zahlreiche Anwesen auf offiziellen Karten deutlich erkennbar ist, sind Maßnahmen zum Hochwasserschutz erst im Planungsstadium.
So komplex und so unterschiedlich die Ursachen der Zerstörung durch Starkregen sein können, so komplex sind die Herausforderungen für einen besseren Hochwasserschutz in Bayern.
1. Klimaschutz ernst nehmen
Das einzelne Wetter-Ereignis ist statistischer Zufall. Es ist aber bekannt, dass die Klimaüberhitzung zu vermehrtem Starkregen und zu häufigeren Extremregenereignissen führen wird und bereits führt. Die Folgen des Klimawandels machen dabei vor Bayern nicht halt, deshalb darf auch eine konsequente Klimaschutzpolitik vor Bayerns Staatsregierung nicht Halt machen.
Die CSU-Staatsregierung muss sofort ihre bisherige Blockade in der der Klimaschutzpolitik beenden. Bayern muss die Klimaversprechungen von Paris einlösen – bei der Windenergie, der Solarenergie, bei der Umstellung hin zu einer klimaneutralen Mobilität, bei der Umstellung des Wärmebedarfs, in der Landwirtschaft. Das ist die Konsequenz der furchtbaren Unwetter in Niederbayern und an anderen Orten Bayerns.
Wenn Simbach, Triftern, Polling und die anderen von extremem Starkregen betroffenen Orte keine ernsthafte Politik für mehr Klimaschutz auslösen, dann wird Bayern immer mehr Wetterdramen mit furchtbarem Ausgang für seine Menschen erleben müssen.
2. Zeitnahe Umsetzung von Gewässerschutzplänen durch die Kommunen
Triftern ist kein Einzelfall: Die große Gefährdung durch Hochwasser ist bekannt, die Karten des Wasserwirtschaftsamtes liegen schon lange vor und es geschieht – nichts. Egal ob es finanzielle Gründe, Trägheit der kommunalen Entscheider oder Schwierigkeiten bei Grundstücksverhandlungen waren, das diesjährige Drama muss zu einem ebenso dramatischen Bewusstseinswandel führen – und das nicht nur in den diesmal betroffenen Gemeinden. Alle Kommunen müssen sehr ernst nehmen, dass es sie selbst auch treffen kann.
3. Drastische Erhöhung der bayerischen Fördermittel zur Umsetzung kommunaler Hochwasser-Schutzmaßnahmen
Zwar wurden im Rahmen von Vorhaben für wasserwirtschaftliche Maßnahmen den Kommunen bayernweit in den letzten Jahren jährlich rund 100 Mio. Euro zur Verfügung gestellt; gut 85% davon entfielen aber auf Projekte der Wasserver- und Abwasserentsorgung, nur knapp 15% auf Maßnahmen des Hochwasserschutzes. So wurde der kommunale Hochwasserschutz im besonders betroffenen Niederbayern mit nur knapp 2,5 Mio. Euro pro Jahr gefördert, angesichts der wohl mehr als hundertfach höheren Schadenssumme ein dramatisches Missverhältnis. Gerade bei finanzschwachen Kommunen sind zudem höhere Fördersätze notwendig.
4. Kommunale Fortgangsberichte für Hochwasserschutzmaßnahmen vorschreiben
Auch wenn Gewässer III. Ordnung kommunale Angelegenheit sind, müssen Kommunen nicht nur die finanziellen Möglichkeiten für entsprechende Schutzmaßnahmen bekommen sondern auch steigenden Handlungsdruck verspüren. Der Hochwasserschutz an den Gewässern III. Ordnung muss in Zukunft wesentlich mehr Gewicht erhalten. Es ist volkswirtschaftlich und sozial unsinnig, sich nicht gegen mögliche Schäden zu wappnen und stattdessen für den Schadensfall auf die Unterstützung durch den Staat zu bauen. Deshalb sind in einem ersten Schritt jährliche Fortgangsberichte über die Herstellung und Umsetzung eines kommunalen Hochwasserschutzes einzufordern.
5. Überarbeitung der Modelle zur Hochwasserprognose
Modelle zur Hochwasserprognose beruhen auf Grunddaten über Abfluss-Geschwindigkeiten. Als Folge des zunehmenden Flächenfraßes in Bayern und der weiter fortschreitenden Bodenverdichtung durch die derzeitige Land- und Forstwirtschaft steigen die Abflussgeschwindigkeiten. Dieser Anstieg spiegelt sich in den älteren Prognosemodellen nicht wider. Deshalb ist die Hochwassergefahr tendenziell noch höher als in den Karten dargestellt. Eine Nachberechnung mit realistischeren Annahmen über Abflussgeschwindigkeiten ist erforderlich.
6. Stärkung der Wasserwirtschaftsämter als Beratungs- und Planungsinstanz
Im gesamten Verfahren zur Verbesserung des kommunalen Hochwasserschutzes kommt den Wasserwirtschaftsämtern entscheidende Bedeutung zu. Von der Aufstellung der Karten überschwemmungsgefährdeter Gebiete über die Beratung der Kommunen bis hin zu Planung, Wasserrechtsverfahren und Umsetzung sind die Wasserwirtschaftsämter die Kompetenzzentren für Hochwasserschutz. Aufgrund des erheblichen Personalabbaus können die Wasserwirtschaftsämter diese Aufgaben nicht annähernd mehr bewältigen. Deshalb ist jeder weitere Abbau von Personal sofort zu stoppen. Um den Hochwasserschutz deutlich zu verbessern ist eine personelle Stärkung der Wasserwirtschaftsämter zwingende Voraussetzung.
7. Bessere Absicherung gegen Elementarschäden
Der Fall Simbach mit seinem verdreifachten Höchstpegelstand, aber auch der Tornado in Affing (Lkr. Aichach-Friedberg vom Mai 2015) zeigen, dass extreme Elementarschäden, verursacht durch den Klimawandel, offensichtlich zunehmen. Die Erkenntnis aus diesen Katastrophen ist, dass jeder von derartigen Ereignissen getroffen werden kann. Solche Schäden sind auch durch umfangreiche Vorsichtsmaßnahmen nicht auszuschließen. Eine Versicherung gegen diese Risiken, ggf. mit staatlicher Beteiligung, ist deshalb zu entwickeln.
8. Ökologie am Gewässer verbessern
Alle Möglichkeiten der Hochwasserrückhaltung müssen genutzt werden: Die Funktion der Auen als natürliche Überschwemmungsgebiete ist wiederherzustellen. Die Renaturierung der Flüsse und Bäche ist voranzutreiben, in der Land- und Forstwirtschaft ist durch eine schonende Bewirtschaftung eine Erhöhung der Speicherfähigkeit der Böden am Ort der Niederschläge zu bewirken. Gewässerrandstreifen in einer Breite von je zehn Metern an allen Gewässern sind verbindlich vorzuschreiben, Moore sind zu renaturieren und Entwässerungsgräben in Feuchtwiesen zurückzubauen.
Die Schutzwaldsanierung ist deutlich zu intensivieren, sodass die Fläche der Schutzwälder, die ihre Schutzwaldfunktion nicht mehr erfüllen kann, in den nächsten Jahren deutlich abnimmt. Dämme sind zurückzuverlegen und geplante Flussbaumaßnahmen an allen bayerischen Flüssen am Hochwasserschutz auszurichten.
9. Flächenfraß in Bayern beenden
Wer Hochwasserschutz will, der muss möglichst viele Flächen zur Versickerung und zum langsameren Abfluss von Regen schaffen. Deshalb ist jede Betonierung von Flächen grundsätzlich Gift für den Schutz vor Hochwasser. Flächenfraß – z. B. durch ausufernde Verkaufszentren auf der grünen Wiese - schafft also nicht nur landschaftsästhetische und durch die Verödung von Innenorten verursachte soziale Probleme, sondern wirkt auch diametral gegen jeden Hochwasserschutz. Die CSU-Politik des bundesweit einmaligen Flächenfraßes in Bayern ist sofort zu stoppen. Selbst nach der neuen Berechnungsmethode verschwinden in Bayern immer noch annähernd 4000 Hektar unter Beton. Jährlich! Dies entspricht der Fläche des halben Chiemsees.
10. Erosion und Verdichtung landwirtschaftlicher Böden entgegen wirken
Gerade im besonders betroffenen Landkreis Rottal-Inn aber auch in anderen Teilen Bayerns basiert die Bodennutzung in der Landwirtschaft vorwiegend auf Mais. Folge ist zum einen die Verdichtung der Böden. Zum anderen führt der Maisanbau zu einer massiven Erosion landwirtschaftlicher Böden vor allem in intensiv genutzten Hanglagen. Konsequenz ist, dass der wertvolle Humus in großem Umfang abgetragen wird und Bäche, Flüsse und Seen verschlammt.
gez.
Dr. Christian Magerl
Eike Hallitzky