Es war eine Fortbildungsveranstaltung, die es in sich hatte; in der es um die Würde des Menschen am Ende seines Lebens ging. Mit schonungsloser Ehrlichkeit beleuchteten zwei renommierte Pflege-Expertinnen im Landratsamt vor über 100 Zuhörern ein Thema, das in einer massiv alternden Gesellschaft immer mehr Menschen auf den Nägeln brennt:
Es ist die Schere zwischen dem Wunsch eines jeden, die letzte Zeit des Lebens in Würde zu verbringen und so auch zu sterben – und der allzu oft erbarmungswürdigen Realität.
Der Große Sitzungssaal des Landratsamts war bis auf den letzten Platz besetzt mit Mitarbeiterinnen von Einrichtungen der ambulanten und stationären Altenhilfe, von Kliniken und Behörden aus Stadt und Landkreis Landshut und aus Nachbarregionen.
Landrat Peter Dreier bei der Eröffnung der Fortbildungsveranstaltung mit Doris Donderer (rechts), Vorsitzende des Arbeitskreises Geronto-Psychiatrie, sowie (von links) den Referentinnen Rosmarie Maier und Petra Mayer.
Die Sozialpädagogin Doris Donderer, Vorsitzende des Arbeitskreises
Geronto-Psychiatrie (zu Deutsch: Alters-Seelenheilkunde) hatte die beiden
Fachfrauen schon vor eineinhalb Jahren für eine Veranstaltung in die
Region Landshut geholt: Rosmarie Maier, Lehrerin für Pflege und
Buchautorin, und Petra Mayer, Trainerin für Palliativ-Pflege.
Welchen begeisterten Eindruck die beiden Expertinnen hinterlassen
hatten, spiegelte sich in der großen Resonanz auf die Einladung zu der
Informationsveranstaltung „Demenzspezifische Palliativ Care" wider: Es
hätten weit mehr Interessierte kommen wollen, als der nun wirklich nicht
kleine Große Sitzungs- und Hörsaal des Landratsamts Landshut fassen
kann.
Landrat Peter Dreier, der die Schirmherrschaft über die Veranstaltung
übernommen hatte, dankte der Organisatorin Doris Donderer und war
sehr erfreut über diese immense Resonanz: Das Schlagwort vom
demographischen Wandel sei in aller Munde. Dass diese Entwicklung vor
allem auch einen hohen Zuwachs an pflegebedürftigen Menschen bedeute,
das sei gerade diesem Personenkreis bewusst, sagte der Landrat zu
seinen Zuhörern – die meisten von ihnen Mitarbeiter von Einrichtungen
der ambulanten und stationären Altenhilfe, von Kliniken und Behörden aus
Stadt und Landkreis Landshut, aber auch darüber hinaus.
Wertvoller Dienst an ganzer Gesellschaft
Hochwertige Pflegeleistungen würden in Zukunft wichtiger denn je,
machte der Landrat deutlich und dankte den Pflegekräften für ihre
Bereitschaft, sich fortzubilden. Er wünschte ihnen viel Kraft bei ihrer
Arbeit, aber auch immer wieder Freude und Bestätigung: Auch dies sei
nötig, damit sie ihren so wertvollen Dienst an den alten Menschen „und
somit an unserer Gesellschaft" leisten können, betonte Dreier.
Der Landrat hatte damit offensichtlich zentrale Punkte angesprochen, wie
die Referentinnen zu Beginn ihrer Ausführungen mit ein paar sehr
deutlichen Bemerkungen und einer indirekten Replik zeigten: Heute hätten
die Hospizbewegung und der Palliativbereich durchaus eine große Lobby.
Auch die Erfordernisse von Kindern würden heute mehr gesehen und
anerkannt – wie ganz anders sei dies alles noch vor 20 Jahren gewesen,
stellte Rosmarie Maier fest: Immer mehr Menschen begännen zu
begreifen, was alles durch den viel zitierten Wandel auf die Gesellschaft
zukomme.
Nichts ist anschaulicher als Beispiele, die aus dem echten Leben gegriffen
sind: Die beiden Dozentinnen spielen in Filmsequenzen Situationen aus
Pflegeheimen nach. Die „Heldin" des Films, den sie bei Fortbildungen
vorführen, ist eine fiktive demente Greisin Anni Huber. Man sieht sie zu
Anfang wimmernd und stöhnend, apathisch an einem Tisch sitzend, vor
sich irgendetwas zu essen, das sie aber nicht anrührt.
„Geh mir bloß weg mit der Schnabeltasse"
Wer möchte dieser Frau nicht helfen? Aber es wird ihr oft nicht geholfen
oder jedenfalls nicht angemessen, machte Rosmarie Maier deutlich am
Beispiel des Problems der Verweigerung der Nahrungsaufnahme. In kaum
einem anderen Bereich sei der – gutgemeinte – Druck von Seiten von
Angehörigen und der Pflege so stark wie beim Essen.
Für alle Beteiligten stellten sich essentielle Fragen: Was ist würdevoller
Umgang mit Menschen, wann ist etwas für einen alten Menschen „zu
lang"? „Um es klarzustellen": Anni Huber müsse nichts essen, die anderen
müssten sich auf den Weg machen, ihr zu helfen, ihr gerecht zu werden.
Im Film wird gezeigt, wie Anni Huber von einer einfühlsamen Pflegerin in
einem Ramazotti-Glas Cola gereicht wird. Warum nicht? Nährbier und
Cola, auch Säfte seien für viele alte Leute ein Genuss. Aber sie sträubten
sich dagegen, aus einer Schnabeltasse zu trinken. Mit dieser Verweigerung
wehrten sie sich gegen etwas, was sie als demütigend empfänden, wie die
Referentin ausführte.
Wie komme man dazu, alten Leuten vorzuschreiben, dass sie zuerst
„gesunde Sachen" essen müssten, um dann den Nachtisch zu bekommen.
„Ich esse nicht, ich schlucke nur", habe ihr eine demenzkranke Frau
einmal gesagt, schilderte Rosmarie Maier und diese Botschaft von der
Verletzung der Würde eines Menschen ist ihr unter die Haut gegangen,
wie an ihren Worten deutlich wurde.
Frage nach mehreren Ursachen eines Problems
Auch die Frage, wann etwas zu lange sei für Palliativpatienten, das Sitzen
etwa, könne nur individuell beantwortet werden. Zu lange sei etwas, wenn
es zu einem Leid wird, gab die Referentin zur Antwort. Pflegekräfte
müssten täglich vielfach den Spagat meistern zwischen dem eigentlich
medizinisch-pflegerisch Gebotenen und den Wünschen der Betroffenen.
Genau der Weg dazwischen sei die Pflege, brachte es Rosmarie Maier auf
einen Nenner.
„Jede flehentliche Bitte, die abgelehnt wird, ist eine weitere Erfahrung der
Ohnmacht, die die früheren verstärkt", zitierte die Referentin einen
Pflegewissenschaftler. Sie appellierte an die Pflegekräfte, in einem
grundlegenden ethischen Konflikt sich immer wieder dafür zu entscheiden,
möglichst keine Maßnahmen über den Willen der Betroffenen
durchzusetzen.
Dazu müsse man freilich viel wissen und können – und vor allem auch viel
über die Betroffenen wissen, vertrauensvoll mit Angehörigen und Ärzten
zusammenarbeiten und vieles mehr. Aber das müssten einem die
Menschen wert sein, die einem anvertraut sind, und das müssten nicht
zuletzt auch die Pflegekräfte sich selber wert sein.
Die beiden Referentinnen vermittelten viele in der Pflegepraxis wertvolle
Informationen, zum Beispiel mit Blick auf manche oft übersehene
Indikatoren für körperliche Schmerzen – und sie legten ihren Zuhörern
eine „Und-Kultur" ans Herz: Viele Probleme hätten mehrere Ursachen,
man sollte den Gedanken „und was noch in Frage kommt" in richtiger
Weise ergreifen und gewichten.
Vermeidbares Leid auch wirklich vermeiden
Palliative, unheilbare Erkrankungen, darauf wies Petra Mayer besonders
hin, seien keine statische Angelegenheit, sondern ein Prozess, der sich
auch über Jahre hinziehen kann. Die entscheidende Aufgabe in der Pflege
sei, vermeidbares Leid zu verhindern und auch die Grenze zu kennen zu
Leid, das unvermeidbar sei.
Unvermeidbar sei das Leid, das Angehörigen aus dem Tod eines geliebten
Menschen erwächst. Vermeidbar sei heute dank der Fortschritte der
Medizin ganz viel: Aber auch hier müsse man sich ernsthaft vor Augen
halten, dass vieles ein Segen und ein Fluch zugleich sein könne, wie Petra
Mayer darlegte am Beispiel der künstlichen Ernährung über eine
Magensonde.
Die Methode könne in vielen Fällen segensreich wirken, Heilung und
Lebensverlängerung möglich machen. Bei Palliativ-Patienten im letzten
Stadium angewandt, verlängere sie nur das Leiden und nehme den
Betroffenen „das Menschenrecht auf einen friedlichen und natürlichen
Tod", zitierte Petra Mayer einen renommierten Geriatrie-Professor. Die
„große Frage unserer Zeit ist nicht nur, wie wir sterben wollen, sondern
auch, wie wir sterben dürfen", sagte sie.
Eindringlich plädierten die Referentinnen dafür, rechtzeitig eine Patienten-
Verfügung zu verfassen. Gerade auch durch solche Verfügungen werde es
möglich, unnötiges Leiden auch wirklich zu vermeiden.